Im Zeiss Museum der Optik im baden-württembergischen Oberkochen gibt es für Besucher*innen von nun an eines der außergewöhnlichsten und berühmtesten Objektive aus der Geschichte der Fotografie und des Films zu bewundern. Ein Zeiss Planar 50mm f/0.7, welches sich im Besitz des international gefeierten Hollywood-Regisseurs Stanley Kubrick befand, wurde kürzlich von dessen aus Deutschland stammenden Produzenten Jan Harlan als langfristige Leihgabe an das Museum übergeben. Das bislang lichtstärkste Objektiv der Filmgeschichte mit phänomenaler Offenblende f/0.7 wurde von Stanley Kubrick unter anderem für Innenaufnahmen genutzt, bei denen er der Atmosphäre halber absichtlich auf den Einsatz von Kunstlicht verzichtete. Unter anderem in den legendären Szenen bei Kerzenschein für den vierfach Oscar-prämierten Filmklassiker “Barry Lyndon”.
Anlässlich des 50-jährigen Geburtstages des Objektivs fand diese kleine Berühmtheit nun ihren Weg in die Ausstellungshallen von Zeiss. Produzent Jan Harlan ließ es sich nicht nehmen, Kubricks Zeiss Planar 50mm f/0.7 im Rahmen eines kleinen Festakts am 15. September 2022 persönlich zu überreichen, wobei er als kleine Überraschung noch zwei der originalen Kerzen vom Filmset mit im Gepäck hatte. Dabei handelte es sich um Spezialanfertigungen, die mit drei Dochten mehr Helligkeit erzeugen sollten. Aber nicht nur dieses Zeiss Planar 50mm f/0.7 verfügt über Besonderheitswert, denn insgesamt wurden von der lichtstarken Festbrennweite weltweit bis heute nur zehn Exemplare gefertigt. Sechs davon gingen an die NASA und sollten dort ursprünglich für Fotos der dunklen Seite des Mondes verwendet werden. Allerdings nutzte man für diesen Job schlussendlich ebenfalls von Zeiss produzierte Biogon-Objektive.
Geschichtsträchtige Festbrennweite mit überragender optischer Leistung
Jan Harlan, der das Zeiss Planar 50mm f/0.7 damals im Jahre 1972 tatsächlich persönlich direkt vor Ort vom Hersteller Zeiss in Oberkochen abholte, erinnert sich bei der Präsentation zum Ausstellungsstart zurück an diese Zeit und erzählt, wie Kubrick in einer Ausgabe des “American Cinematographer” Magazins einen Artikel über das Objektiv las und sogleich von dessen einzigartiger Leistung begeistert war. Er bat seinen langjährigen Produzenten Harlan, Nachforschungen anzustellen und so rief dieser beim Zeiss-Ingeneur Dr. Wilhelm Kämmerer in Oberkochen an, welcher ihm allerdings erklärte, dass das Zeiss Planar 50mm f/0.7 aufgrund seines geringen Auflagemaßes von kaum 5 mm nicht für Filmkameras genutzt werden könne.
Stanley Kubrick ließ sich von dieser Aussage jedoch nicht aus dem Konzept bringen, orderte das Objektiv dennoch und suchte mit seinem Team nach Lösungen für das technische Problem. Diese fand schließlich der technische Entwickler Ed Di Guilio, der für das Zeiss Planar schnurstracks die Objektivhalterung einer herkömmlichen Mitchell BNC 35 mm-Filmkamera umbaute, um die spezielle Linse nutzen zu können. Als erste Tests erfolgreich waren, wurden zwei weitere Zeiss Planar 50mm f/0.7 gekauft, die seit 2004 als Teil der Stanley-Kubrick-Ausstellung um die Welt reisen. Die nächsten Stationen sind Istanbul und Athen im Jahr 2023. Das zuerst organisierte Zeiss Planar behielt Jan Harlan nach dem Ende seiner Karriere selbst.
Mit seiner ungewöhnlichen Anfangsblende von f/0.77 schaffte es das Zeiss Planar 50mm f/0.7 im Jahre 1989 sogar ins Guiness-Buch der Rekorde. Völlig zu Recht, immerhin entspricht die damit aufgenommene Lichtmenge in etwa dem Vierfachen einer Blende f/1.4, welche heutzutage immer noch als sehr gut gilt. Zum Erreichen dieser herausragenden Lichtstärke war es enorm wichtig, sämtliche Faktoren wie optisches Design, Linsenmaterial, Schliff- und Entspiegelungstechniken für höhere Lichttransmission und Minimierung von internen Lichtreflexionen genauestens zu berücksichtigen und nicht zuletzt das Objektiv perfekt mit der Kamera abzustimmen.
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Auch heute noch weltweit für Film und Fernsehen im Einsatz
Das deutsche Unternehmen Zeiss ist auch noch heute erfolgreich in der Fotografie- und Filmbranche aktiv, wobei die Geschichte der “Planar”-Objektive bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht. Verantwortlich für das erste Zeiss Planar war seinerzeit der deutsche Physiker und Optiker Paul Rudolph (1858-1935). Das von ihm entwickelte Objektiv mit einem zu der Zeit komplexen optischen Aufbau aus sechs Linsen wurde speziell für eine verzeichnungsfreie, also möglichst “plane” Abbildung von Motiven konzipiert. Herausgebracht wurde diese erste Festbrennweite der Planar-Serie bereits im Jahre 1896.
Heutzutage finden sich moderne Filmobjektive von Zeiss an diversen Filmsets weltweit, egal ob für Kino, Fernsehen oder Streaming-Formate, wobei sich die technischen Herausforderungen und Ansprüche an Objektive im Laufe der Zeit stark gewandelt haben. Während Kubrick seinerzeit für seine analogen Aufnahmen auf ein Höchstmaß an Lichtstärke angewiesen war, wird dieser Faktor im digitalen Zeitalter problemlos über die hohe Lichtempfindlichkeit moderner Bildsensoren abgehandelt. Während auch heute das niedrige Auflagemaß des Zeiss Planar 50mm f/0.7 von 1972 einer Verwendung an aktuellen Filmkameras einen Strich durch die Rechnung machen würde, bedarf es der hohen Lichtstärke also längst nicht mehr.
Trotzdem hat das Zeiss Planar 50mm f/0.7 weiterhin seinen festen Platz in der Geschichte der Kinematographie, denn nicht nur das künstlerische Schaffen von Stanley Kubrick hat die Planar-Reihe von Zeiss nachhaltig geprägt. Wer das originale Zeiss Planar 50mm f/0.7 neben diversen Exponaten und interaktiven Angeboten zu knapp 800 Jahren Optikgeschichte und 175 Jahren Zeiss live besichtigen möchte, kann dies von Montag bis Freitag zwischen 9:00 und 17:00 Uhr im Zeiss Museum der Optik in der Carl-Zeiss-Straße 22 in 73447 Oberkochen tun. Der Eintritt ist frei.